Psychologische Beratung und Therapie, Erwin Brückl

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Über die Liebe...
Aus: Der Zahir von P. Coelho

Ein unzufriedenes Paar
Aus: Die Stimme des Zwielichts von Uli Olvedi

Ich gehe die Straße entlang
(?)

Zehn Kuchenstücke
(Samuel Widmer)

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Aus: „Der Zahir“ von P. Coelho

S. 94:
Als der italienische Dichter Dante die >Göttliche Komödie< schrieb, sagte er: An dem Tag, an dem der Mensch der wahren Liebe erlaubt, sich zu zeigen, werden die wohlgeordneten Dinge heillos durcheinandergeraten und alles aus dem Gleichgewicht bringen, was wir für sicher, für wahr gehalten haben.

Die Welt wird wahr sein, wenn der Mensch zu lieben vermag - bis dahin werden wir in dem Glauben leben, wir würden die Liebe kennen. Wir bringen jedoch nicht den Mut auf, uns der Liebe als dem zu stellen, was sie ist.

Die Liebe ist etwas Wildes. Wenn wir versuchen, sie unter Kontrolle zu halten, zerstört sie uns. Wenn wir versuchen, sie einzusperren, macht sie uns zu Sklaven. Wenn wir versuchen, sie zu begreifen, stehen wir verloren und verwirrt da.

Diese Kraft ist auf Erden, um uns Freude zu geben und uns Gott und den anderen Menschen näherzubringen. Und dennoch, so wie wir heute lieben, kommt auf eine Minute Frieden eine Stunde Angst.

S. 332:
Im Krankenhaus hatte die Liebe zu mir gesprochen: »Ich bin alles und nichts. Ich bin wie der Wind und kann nicht hinein, wo Fenster und Türen geschlossen sind

Ich hatte der Liebe geantwortet: »Aber ich bin offen für dich

Und sie hatte zu mir gesagt: »Der Wind kann nicht in dein Haus, da Fenster und Türen verschlossen sind. Die Möbel werden sich mit Staub bedecken, die Feuchtigkeit wird am Ende die Bilder zerstören und die Wände fleckig machen. Du wirst weiteratmen, du wirst einen Teil von mir kennen - aber ich bin kein Teil, ich bin das Ganze, und das wirst du nie kennenlernen

Ich bemerkte, daß die Möbel verstaubten, die Bilder vor Feuchtigkeit verschimmelten, und mir blieb nichts anderes übrig, als Fenster und Türen zu öffnen. Als ich das getan hatte, fegte der Wind hindurch. Ich wollte meine Erinnerungen behalten, schützen, was ich unter solchen Mühen erreicht hatte, aber alle Dinge waren verschwunden und ich selbst leer wie die Steppe.

Ich begriff, warum Esther hierher gekommen war: um leer zu werden wie die Steppe.

Und weil ich leer war, kam der Wind herein und brachte Neues mit sich, Geräusche, die ich nie zuvor gehört hatte, Leute, mit denen ich nie zuvor geredet hatte. Ich war wieder von der Begeisterung von einst erfüllt, da ich mich von meiner eigenen Geschichte befreit, den >Resignationspunkt< überschritten, in mir einen Mann entdeckt hatte, der imstande war, andere so zu segnen, wie die Nomaden und Schamanen der Steppe ihresgleichen segneten. Ich fand heraus, daß ich viel besser und zu viel mehr fähig war, als ich gedacht hatte, und daß das Alter nur den Rhythmus derer verlangsamt, die nie den Mut hatten, ihren eigenen Rhythmus zu finden.


Ein unzufriedenes Paar.....
(Aus Uli Olvedi, "Die Stimme des Zwielichts", S.: 320f)

Ein anderes Mal, als Maili die Beine des alten Rinpoche gerade mit einer von ihr selbst frisch zubereiteten, duftenden Salbe einrieb, kam ein junges Paar herein. Der Rinpoche brummte in verschiedenen Tonlagen und kratzte sich wohlig. Sein schläfriger Blick hüllte Maili ein. Sie hatten keinen Besuch erwartet. Das junge Paar war ohne Anmeldung zu den Räumen des Rinpoche geschlichen und von seinen Mönchen nebenan offenbar nicht bemerkt worden. Die beiden vollzogen ihre drei Niederwerfungen mit einer Geschwindigkeit, die auf ein geschäftiges Leben schließen ließ, in dem keine unnötigen Dinge Platz hatten. Die junge Frau kam sofort zur Sache.

"Vor zwei Jahren fragten wir Shonbo Rinpoche, ob wir heiraten sollten", sagte sie in vorwurfsvollem Ton, "und er riet uns dazu. Es war kein guter Rat. Jetzt stehen wir vor der Scheidung."

Der alte Rinpoche kratzte mit sanftem Eifer die Unterseite seines Kinns, wobei er die Unterlippe hochschob und den Hals streckte wie eine Katze, die sich kraulen lässt. Die Frau und der Mann warfen einander unsichere Blicke zu. Maili versuchte, beruhigend zu lächeln. Als er sich schließlich genügend gekratzt hatte, brummte der alte Mann etwas und Maili übersetzte: "Aber er hat doch nicht gesagt, dass ihr streiten sollt."

Das Paar schwieg.

"Na also", sagte er mit zufriedenem Gesichtsausdruck.

"Rinpoche-la hat >na also< gesagt", übersetzte Maili "Habt ihr noch Fragen?"

"Sollen wir uns lieber nicht scheiden lassen?", fragte der junge Mann. Die junge Frau zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen. Maili übersetzte.

Der alte Rinpoche kicherte und begann einen Ellenbogen zu kratzen.

Das Paar wartete.

Der alte Meister murmelte das Mani-Mantra. Maili massierte ein zartes Knie, klein und weich wie das eines Kindes.

"Ich denke, Rinpoche-la hat alles gesagt, was er sagen wollte", sagte sie.

Die beiden Besucher legten verwirrt die Hände aneinander und verabschiedeten sich. Der Rinpoche rief zurück, zog ein Schutzbändchen unter seiner Robe hervor und band damit das rechte Handgelenk des Mannes an das linke Handgelenk der Frau. Dabei lachte er so sehr, dass sein kleiner, hervorstehender Bauch unter dem Gewand hüpfte und seine Eingeweide sich hörbar befreiten.


Ich gehe die Straße entlang

1.
Ich gehe die Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich falle hinein.
Ich bin verloren... Ich bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos, wieder herauszukommen.

2.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.

3.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein... aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiß, wo ich bin.

Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.

4.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.

5.
Ich gehe eine andere Straße.


Zehn Kuchenstücke (aus: Samuel Widmer: "Die Liebe äußert sich ganz einfach")

Es waren einmal zehn wunderbare Kuchenstücke. Eines schöner und einladender als das andere. Kam jemand vorbei, wählte sorgfältig eins aus und ließ es sich munden. Die neun anderen fühlten sich beschämt und vertrockneten. Wie konnte er mich übersehen? Was ist an mir falsch, daß er mich nicht gewählt hat?


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